Im Oktober 2024 haben drei Vorstandsmitglieder eine Woche lang unser Projekt auf Lesbos besucht. Alice Kleinschmidt, unsere Projektleiterin vor Ort, hatte die Reise inhaltlich organisiert und ermöglichte uns die Begegnung mit Bewohner*innen (Mütter, Väter, Kinder) unserer Wohnungen und stand uns fast täglich für Gespräche und Informationen über das von ihr geleitete Welcome Office zur Verfügung.
Wir sind sehr bewegt und bereichert nach Kassel zurückgekehrt – und mit der festen Überzeugung, wie hilfreich, bedeutend und sinnvoll unser Wohnungsprojekt ist. Für die Geflüchteten stellen die Wohnungen (endlich) einen sicheren Ort dar, die Kinder können mit ihren Eltern zur Ruhe kommen, und wenn auch die Wohnbedingungen sehr einfach sind, ist alles zum Leben Notwendige vorhanden – ein kleines „Zuhause“. Sie bieten im Gegensatz zum Camp mit seinen derzeit etwa 1.500 Menschen einen äußeren „Schutzraum“, der auf dem Hintergrund des Statements von Katrin Glatz Brubakk insbesondere für die Kinder eine existentiell wichtige Erfahrung darstellt.
Von unseren zahlreichen Begegnungen mit den Bewohner*innen und ihren Kindern möchten wir stellvertretend zwei schildern:
Seit einigen Wochen lebt eine 20-jährige junge syrische Mutter mit ihren drei kleinen Kindern in einer der Wohnungen: Schlafzimmer, Bad, kombiniertes Wohn-/Esszimmer mit kleiner, einfacher
Küchenzeile. Najim (Name geändert) wurde mit 12 Jahren von ihrem Vater verkauft und zwangsverheiratet mit einem Mann, der äußerst gewalttätig war. Nach der Flucht über die Türkei nach Lesbos
setzten sich die Gewalterfahrungen für Najim durch ihren Mann fort, er wurde verhaftet und auf Bewährung verurteilt, Najim wandte sich ans welcome office und beantragte die Scheidung sowie das
alleinige Sorgerecht. Der Vater hat striktes Umgangsverbot. Jetzt heißt es abwarten, wie die Gerichte entscheiden, Najim erhält alle denkbare Unterstützung durch das welcome office. Unsere
zweimalige Begegnung war sehr offen und herzlich, Najim erzählte vertrauensvoll von ihrem langen Leidensweg. Die Wohnung ist ihr sicherer Hafen, die Kinder kommen endlich etwas zur Ruhe. Najim
machte auf uns einen selbstbewussten und starken Eindruck, sie fühlt sich frei von ihrem Mann und frei von all den Konventionen ihres Heimatlandes, die ihre Entfaltung verunmöglichten. Wenn ihre
Kinder größer sind (noch keines besucht eine Schule), will sie selbst zur Schule gehen und später einen Beruf erlernen.
Ebenfalls zwei Begegnungen hatten wir mit einer afghanischen jungen Mutter mit 6 Kindern. Die ausgebildete praktizierende Hebamme durfte nach der Machtübernahme der Taliban nicht mehr
arbeiten und flüchtete. Ihr gewalttätiger Mann nahm sich eine zweite Ehefrau. Sie reichte die Scheidung ein und führt seitdem einen Sorgerechtsstreit. Bis zum endgültigen Entscheid leben drei
Kinder mit ihr in einer unserer Wohnungen, die drei anderen beim Vater im Camp. Dreimal in der Woche können sich alle sechs Kinder in einem Park Mytilinis unter Aufsicht sehen, die Eltern dürfen
keinen Kontakt miteinander haben. Fawad (Name geändert) möchte sich mit ihren Kindern in Europa eine neue Existenz aufbauen, sie und ihre Kinder blühen in der neuen, freien Umgebung spürbar
auf.
Die beiden Schilderungen können hoffentlich/vielleicht im Ansatz etwas verdeutlichen, welchen Wert unsere Wohnungen für die Bewohner*innen haben. Unsere Initiative ist – mit den Worten von Katrin
Glatz Brubakk – nur „ein Pflaster auf einer riesigen Brandwunde“ (aus einem Text von ihr in unserer Link-Sammlung); und dennoch: Ohne die
Spenden gäbe es für die Geflüchteten auf Lesbos dieses „Angebot“ nicht! Es bietet für die Kinder eine Erfahrung von Sicherheit, Wertschätzung und Achtung, für die Erwachsenen die Möglichkeit, zur
Ruhe zu kommen, Perspektiven zu entwickeln – und dies wiederum hilft den Kindern!
Wir sind sehr dankbar: Für die großen und kleinen, die treuen und spontanen Spenden, ohne die dieses Projekt nicht möglich wäre; und wir sind dankbar für unsere Begegnungen und Erfahrungen auf
Lesbos. Es macht einen Unterschied, mit Alice Kleinschmidt regelmäßig in telefonischen oder Email-Kontakt zu stehen, oder die Menschen und ihre Lebenswege bzw. Fluchterfahrungen konkret zu
erleben .